+++ mit Bezug auf die Ereignisse in der Ukraine s. "Vom Streben nach Macht, über Machtmissbrauch und Narzissmus" +++
Kunst entführt in andere Welten,
Kunst deckt Verborgenes auf, Kunst kontrastiert die eigene Wirklichkeit. Eigentlich alles wunderbar. Dennoch macht mir Letzeres gerade schwer zu schaffen. Der Film Machine Gun Preacher hat mir nämlich etwas vor Augen geführt, über dessen Ausmaße ich mir vorher in keiner Weise bewusst war. Kurzfassung: Während ich Kräuterbrötchen für die
Faschingsfeiern meiner Jungs backe, werden anderswo auf der Welt Kinder gezwungen, die eigene Mutter zu töten, um sich und den kleinen Bruder zu retten. Sie werden zu Soldaten gemacht, misshandelt, gefoltert, verkauft. Die
Frage ist, was soll ich nun mit solchen Informationen anfangen? Ich meine, außer heulen...
Inhalte:
1. Kapiert. Kein Weltfrieden. Und jetzt?
2. Bittere Realität vs. Seifenblasen und Feenstaub
3. Medien - Kunst - Seifenblasen
4. Maßnahmen für eine bessere Welt
Kapiert. Kein Weltfrieden. Und jetzt?
In letzter Zeit scheine ich künstlerische Werke über die Abgründe menschlicher Grausamkeit nur so anzuziehen. Vollkommen ahnungslos habe ich Bücher gelesen und Filme gesehen über sexuellen, physischen und psychischen Missbrauch, kaum vorstellbare Brutalitäten und perverse Machtspielchen. Dabei bringt einem die künstlerische Bearbeitung der Themen das alles emotional so nahe, dass es nur schwer auszuhalten ist. Wie muss das erst für die echten Opfer sein, wenn ich hier schon sitze und wie ein Schlosshund schluchze? Und dann gehe ich los, als wäre nichts geschehen und kaufe die Zutaten für die Faschingsbrötchen. Wie seltsam, unwirklich und befremdlich ist das bitte!
Überhaupt ... Wird angesichts der Ungerechtigkeiten und dem Elend der Welt außerhalb der Seifenblase die Sinnhaftigkeit der ganzen Veranstaltung "Menschenleben" nicht generell in Frage gestellt? Wenn einem immerzu bewusst ist, dass Millionen Menschen freiwillig einen Sexisten, Rassisten und Narzissten wie Trump zum Präsidenten wählen, dass die LRA in Uganda und Südsudan in "Gottes Namen" seit über zwanzig Jahren nahezu unbehelligt tötet, foltert, terrorisiert, dass rechte Gesinnungen überall auf der Welt auf dem Vormarsch sind und selbst in einem Land mit unserer Geschichte sich der Rechtspopulismus jubelnder Anhänger-Massen erfreuen darf, ist der Gedanke: "Sprengt den Laden doch einfach in die Luft" dann nicht absolut legitim? Wenn ich mich gerade mal wieder intensiv mit der Thematik auseinandersetze, denke ich: Lasst die Vogonen doch einfach ihre intergalaktische Schnellstraße bauen. Ein kleiner Knall und vorbei ist es (Douglas Adams: Per Anhalter durch die Galaxis)...
Bittere Realität vs. Seifenblasen und Feenstaub
Die Missstände in der Welt bezeichnet man gerne auch als die "bittere Realität". Aber ist es auch die "echtere" Wirklichkeit? Ist Leben nur dann "echt", wenn es ans Eingemachte geht, ums geistige und körperliche Überleben? Dann wären Zivilisation und Kultur ja eigentlich Vorgänge, die uns vom echten Leben entfremden, Frieden und Wohlstand so etwas wie eine Pseudo-Wirklichkeit.
Meine eigene Faschingsbrötchen-Realität fühlt sich nach dem Einblick in die "bittere Realität" jedenfalls nicht besonders echt an. Eher wie eine bunt schillernde Seifenblase voller Einhörner und Feenstaub. Mir ist, als wäre ich durch die künstlerische Teilhabe an diesem Leid weit jenseits der bürgerlich vertretbaren Gewaltnormen unvermittelt in eine Weltraum-Perspektive geschossen worden. Peng, die Seifenblase ist zerplatzt. Ich sehe mein Leben aus der Distanz, vergleiche meine Luxus-Probleme und Prioritäten mit denen der "bitteren Realität" und fühle mich betroffen, schuldig, hilflos. Doch das hält nur erschreckend kurz an. Im Handumdrehen hat sich wieder eine neue Blase gebildet. Was brauche ich nochmal für die Faschingsbrötchen? Sind die Kostüme vollständig? Wann müssen die Kinder eigentlich da sein?
Die "bittere" Realität ist natürlich nicht wahrer als die der Faschingsbrötchen backenden Mutter. Sie ist nur näher dran an den großen Themen der Existenz: Leben und Tod, Hass und Liebe, Leid und Lust. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Existenz der "bitteren Realität" einen riesigen Schatten auf den Rest der Welt wirft. Einen Schatten voller anklagender Fragen: "Warum schmeißt ihr euer Essen weg, während wir verhungern? Warum denkt ihr stundenlang über euer Outfit nach, während wir misshandelt werden und sterben? Warum dürft ihr in Frieden leben und wir nicht?" Und recht hat der Schatten mit seinen Fragen.
Also, wie soll man es außerhalb der Seifenblase aushalten und sich dabei seine Lebensfreude bewahren? Vielleicht indem wir uns bewusst machen, dass uns dieser ganze Scheiß auch die Möglichkeit schenkt, wahrhaft dankbar zu sein, für den Frieden und den Wohlstand, den wir erleben dürfen. Denn Dankbarkeit, Demut und Mitgefühl rücken die Wahrnehmung etwas gerader, machen sie echter und entrümpeln die Seifenblase von Einhörnern und Feenstaub. Auf diese Weise könnte uns die Seifenblase vielleicht schützen, ohne uns die Sicht zu versperren ...
Medien - Kunst - Seifenblasen
Man könnte sich auch fragen, wie es überhaupt möglich ist, in einer Realitätsblase zu leben, wo uns die Medien doch in einer Tour mit Schreckensmeldungen, Gewaltbildern etc. überschwemmen. Tja, genau das ist das Problem. Denn diese Art der Berichterstattung stumpft uns ab und sorgt überhaupt erst dafür, dass es uns so leicht fällt, das Elend der Welt auszublenden. Es gibt einen Haufen von Untersuchungen über die Beziehung von Gewalt und Medien. Rainer Leschke zum Beispiel sagt, dass "mediale Gewaltdarstellungen zu den zentralen Ressourcen des Mediensystems gehören". Der Grund dafür sei, dass Gewalt gleichzeitig ein sinnliches Ereignis sei, sowie durch das Austesten sozio-kultureller Grenzen ein besonders hohes Aufmerksamkeitspotenzial böte.*
Einfach gesagt: Violence sells, vielleicht sogar noch mehr als Sex and Promi-News ... (Wenn ich dann nochmal auf die Idee mit dem In-die-Luft-Sprengen zurückkommen dürfte ...)
Maßnahmen für eine bessere Welt
Bleibt abschließend noch immer die Frage: Was tun mit dem Wissen über die Welt außerhalb der Seifenblase? So ganz konkret jetzt ... Mein Mann und ich haben lange darüber diskutiert. Statt im Flugzeug nach Südsudan zu sitzen, das Maschinengewehr im Anschlag (was sein Vorschlag war), sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass man bei sich selbst anfangen muss. Es geht Millionen von Kindern schlecht? Dann sorge erst einmal dafür, dass es deinen gut geht. Und damit meine ich in erster Linie Liebe, Fürsorge und die Vermittlung von Bildung und anständigen Werten. Dann weitest du den Kreis aus, bist für Menschen in deinem Bekanntenkreis da, bietest im Rahmen deiner Möglichkeiten Hilfe vor Ort an. Vielleicht kannst du dich in einem gemeinnützigen Projekt engagieren? Und dann kannst du natürlich auch noch Geld geben. Such' dir Hilfsorganisationen, denen du vertraust und unterstütze sie mit deinem Geld und zwar nach Möglichkeit regelmäßig. Wir haben uns als ersten Schritt dazu entschieden, ein SOS-Kinderdorf im SüdSudan monatlich zu fördern. Wer weiß, wieviel Geld davon wirklich ankommt ... Aber wenn man immer zweifelt und misstraut, unterstützt man am Ende gar nichts und vergisst viel zu schnell wieder die Welt außerhalb der Blase. Und das wollen wir – der Kunst sei Dank – auf gar keinen Fall!
Und hier noch ein paar Hilfsorganisationen, mit denen ihr euch vielleicht näher befassen mögt:
Was sind eure ultimativen Weltverbesserungs-Tipps? Oder haltet ihr das Engagement Einzelner für überflüssig? Schreibt eure Meinung, Erfahrungen, Tipps gerne in die Kommentare!
* aus: Metaethische Mediengewalt, in: Grimm / Badura: Medien - Ethik - Gewalt, 2011
Falls ein Link mal nicht mehr funktionieren sollte, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!
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