Neulich war mal wieder so eine Nacht, in der ich mit jeder Faser fühlte, wie wichtig Schlaf sein kann. Mein Mann praktizierte nämlich so eine Art Guantanamo-Folter-Freistil, indem er jedes Mal wenn ich gerade dabei war einzuschlafen, hochdramatisch hustete und keuchte. War ihm gerade nicht nach Husten, schnarchte er mit allem Drum und Dran an Begleitgeräuschen: schniefen, röcheln, schnaufen. Legte mein Mann dann mal eine Pause ein, so dass ich dachte: "Jetzt kann ich endlich schlafen", wurde mein jüngster Sohn als Schlafgast des Terrors aktiv: Knie in den Rücken, Ellbogen in die Seite oder Fuß in den Oberschenkel gebohrt. Und wenn ich es auch nur wagte, mich zu ihm zu drehen, um seine kleinen, spitzen Körperteile aus meinem Schlafbereich zu entfernen, dann wartete er schon darauf, mir den Atem des Todes hingebungsvoll ins Gesicht zu hauchen...
Schlecht geschlafen? Ach, Quatsch...
Nach so einem Stotterschlaf (Wortschöpfung meines Ältesten) fühlt man sich am nächsten Tag unweigerlich wie zerkaut, herunter geschluckt und wieder erbrochen, wie überfahren und von der Straße gekratzt oder weniger blumig ausgedrückt: etwas angeschlagen. Beim Frühstück verfällt man dann nur zu leicht in einen Zustand, den Komiker Horst Evers (Für Eile fehlt mir die Zeit) als Frühstücksstarre bezeichnet.
Aber warum ist das so? Fühlen wir uns tatsächlich deswegen schlecht, weil unser Körper zu wenig Schlaf zur Regeneration bekommen hat? ODER einfach nur deswegen, weil wir der MEINUNG sind, schlecht geschlafen zu haben? In der flow habe ich dazu einmal den interessanten Artikel „Denk dich ausgeschlafen“ gelesen. Darin wird von den Forschungen der Psychologiestudentin Christina Draganich berichtet. Sie hatte herausgefunden, dass die Leistungsfähigkeit mehr von der Überzeugung gut oder schlecht geschlafen zu haben, beeinflusst wird als von der tatsächlichen Schlafqualität. Tja, da bewahrheit sich mal wieder die Redewendung: der Glaube versetzt Berge ... auch wenn es hier jetzt nicht um Berge geht ... - das weiß ich!!!
In einer anderen Studie, die zwei Harvard-Psychologinnen mit einer Gruppe von Zimmermädchen durchführten, zeigten sich ganz ähnliche Ergebnisse. Alleine der Glaube daran die Bewegung bei der Arbeit sei gut für die Gesundheit, brachte messbare Verbesserungen der körperlichen Fitness mit sich. Es drohen düstere Zeiten für die Fitnessstudios, wenn wir gar nicht mehr strampeln müssen für eine gute Figur … Ich teste es gleich mal an mir selbst: Auf dem Bürostuhl sitzen und schreiben macht einen ganz, ganz straffen Hintern!!!
Dann warten wir es mal ab - Die Macht des Placebos sei mit mir!
Gut geschlafen ist halb gefeiert... häh?
Welche Aufgaben der Schlaf hat, ist noch immer nicht vollständig geklärt. Als sicher gilt jedoch, dass während des Schlafs Erinnerungen verfestigt und Eindrücke verarbeitet werden. Gleichzeitig werden Organe und Gewebe regeneriert und Infekte bekämpft. Schlaf ist also wichtig, damit wir geistig und körperlich optimal funktionieren. So weit, so gut. Und darüber hinaus? Der Philosoph Odo Marquard nennt Schlaf das 'elementarste Moratorium (=Aufschub, Aufhaltung, Aussetzung) des Alltags'. In dieser Unterbrechung vom Alltag sei der Schlaf sowas wie ein 'keimhaftes Fest'. "Gut geschlafen ist halb gefeiert", mutmaßt Marquard. Ist das so? Zumindest in der 24-Stunden-nonstop-Leistungsgesellschaft gilt Schlaf doch eher als notwendiges Übel und ganz bestimmt nicht als ein Zustand, den wir zelebrieren. Der Workaholic als Vorzeigemensch der Leistungskultur legt höchstens schnell einen Powernap zur Selbstoptimierung ein. Nach dem effektiven Nickerchen in der Schlafbar noch schnell einen doppelten Soja-Latte to go und weiter geht's... Doch ist Schlaf in dieser Form überhaupt noch Grundlage eines natürlichen, menschlichen Seins oder nicht eher Kennzeichen für ein zunehmend technisiertes Leben und eine erschreckende Nähe des Menschen zur Maschine? Nicht umsonst spricht man davon, sich mal eben 'runterzufahren' und im 'Offline-Modus' (=Schlaf) seine 'Akkus oder Batterien aufzuladen'. Im Urlaub 'tanken' wir 'Energie', wenn wir etwas verstehen 'fällt der Groschen', Informationen 'speichern' wir, unsere Umgebung 'scannen' wir. Sind wir erschöpft, sagen wir: "Ich bin kaputt.", sind wir wütend, lassen wir 'Dampf ab'. Ach du meine Güte! Wir brauchen gar keine Androiden mehr zu erfinden. Wir sind schon auf dem besten Weg, selbst welche zu werden! Unsere sozialen Netzwerke sind bereits digitalisiert, unser Gedächtnis ist in externe Datenbanken ausgelagert, unsere Sprache ist mit Symbolen und Abkürzungen an die neue Technik angepasst ... Und noch nichtmal richtige Zombies werden wir mehr mit Blutdurst und so. Stattdessen wird das Wort 'Smombie' zum Wort des Jahres. Wenn das nicht für sich spricht...
Auch unser Schlafrhythmus hat sich von der Natur emanzipiert. Dank Elektrizität und Koffein bestimmt nicht mehr der Wechsel von Tag und Nacht über Wachsein und Schlaf. Wir (oder auch das aktuelle Fernsehprogramm...) entscheiden selbst, wann unser Tag endet. Das kann dann leicht auf Kosten des Schlafes gehen. Aber Schlaf steht ja auch nicht mehr besonders hoch im Kurs. Kein Wunder, schließlich ist der Schlaf in seiner todesähnlichen Abwesenheit von Bewusstsein und in seiner Schutz- und Hilflosigkeit auch ziemlich unheimlich, vor allem, wenn man gerne die Kontrolle behält. Und das tun Maschinen doch, oder?
Schlaf und Wachsein - die Balance macht's
Schlaf kann man mögen, muss man aber nicht. Für die Schlafdisliker – zu denen ich auch mich zähle – kommt jetzt allerdings ein hammermäßiges Argument dafür, die Einstellung einmal zu überdenken: Schlafmangel macht dumm, ohne dass man es merkt. Echt wahr ... und beängstigend! Wie dumm bin ich schon, ohne es zu wissen??? Psychiater David Dinges hat in Schlafexperimenten gezeigt, dass Wenigschläfer deutlich schlechtere Ergebnisse in Leistungstests ablieferten als diejenigen, die ausgeschlafen hatten. Erschreckend dabei ist, dass sich die Wenigschläfer an ihre Übernächtigung gewöhnten. Sie fühlten sich also weder besonders müde noch leistungsschwach. Ihre grottenschlechten Ergebnisse sprachen allerdings eine andere Sprache. Wie passt das mit den anderen Experimenten zusammen, in denen es für gute Leistungen schon ausreichte, wenn die Studienteilnehmer dachten, sie hätten gut geschlafen? Ganz einfach, in den 'Denk-dich-ausgeschlafen-Experimenten' ging es nicht um die Schlafdauer, sondern die Schlafqualität. Anhaltender Schlafmangel ist da doch noch eine ganz andere Sache. Der macht übrigens nicht nur dumm, sondern auch dick und depressiv. Und um weiter so schön reißerisch zu bleiben: zu wenig Schlaf macht Kinder hyperaktiv und treibt Erwachsene ins Burnout. Somnologe (Schlafforscher) Dieter Riemann vermutet sogar, dass als solche diagnostizierte ADHS-Kinder vielleicht nur chronisch übermüdete Kinder sind. Ich muss sagen, es spricht doch eigentlich alles dafür, das Image von Schlaf wieder aufzupolieren. Die Zeit stellt deshalb sieben Forderungen für eine ausgeschlafene Gesellschaft auf:
In diesem Sinne schließe ich für heute mit Kurt Tucholskys Worten: "Gebt den Leuten mehr Schlaf - und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind."
Also, schlaft gut! Oder auch nicht, denn es gibt noch viel mehr über das interessante Thema zu lesen, wie die Blogparade "Schlafgeflüster" von Anette Pitzer zeigt. Meine Kolumne nimmt dann gleich mal daran teil ;)
Wie wichtig ist Schlaf in deinem Leben? Hast du Tipps für einen guten Schlaf? Was hindert dich daran, gut zu schlafen? Schreib mir gerne einen Kommentar!
Falls ein Link mal nicht mehr funktionieren sollte, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!
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