Der Suchbegriff "putzen" bringt auf YouTube 182.000 Treffer, auf Google über 9 Millionen!!! DAS hätte ich nicht erwartet. Auch nicht, dass es diverse Videos gibt, in denen man Leuten beim Putzen zuschauen kann. (Schon sehr seltsam, oder? Nach welchem Prinzip funktioniert das - anderen beim Arbeiten zusehen als Form der Entspannung?) Na jedenfalls habe ich da wohl ein brandheißes Thema erwischt. Brandheiß und erstaunlich vielfältig. Von Putzkultur bis Putzneurose, von Wellness-Putzen bis hin zum Putzen als Geißel des Alltags – es ist alles dabei... bestimmt auch wieder eine schockierende Verschwörungstheorie...
Inhalte:
1. Putzen und Werbung - doch wo ist die Verschwörung?
2. Putz-Gewohnheiten und ein Putz-Wortopolis
3. Die anderen 'Dimensionen' des Putzens
4. Putzen - die unvermeidlichen Tipps
Putzen und Werbung – doch wo ist die Verschwörung?
Erinnert ihr euch noch an die Palmolive-Werbung, in der das Spülmittel als Handbad angepriesen wurde? Oder an den General Bergfrühling, der alle abwischbaren Oberflächen in eine duftende Bergwiese verwandelte? Was putzen doch schön sein kann – so eine Mischung aus Wellness und Urlaub! So schön, dass man den Reiniger immer ganz nah bei sich haben möchte, zum Beispiel in der Handtasche, denn damit wird es nicht nur sauber, sondern "kristallrein" (YouTube-Tipp: Gute alte Werbung, 1:17 Min).
"Donnerwetter, Babsi", die Werbung arbeitet mal wieder mit allen Tricks, um das Produkt an den Mann oder hier vielmehr an die Frau zu bringen. (Bis zu 90 Prozent der Putzmittel-Kunden sind nämlich weiblichen Geschlecht – was für eine Überraschung...). Dabei finde ich es kulturgeschichtlich übrigens sehr interessant, dass lange bevor Stars und Models gephotoshopt wurden, erstmal das Klo optisch aufgepimpt wurde. Es liegt uns eben an der Optik des stillen Örtchens.
Sowieso ist in dieser Hinsicht der Hygiene-Anspruch im Laufe der Geschichte laufend gestiegen. Früher gab es – statt der an die Kanalisation angeschlossenen Keramikinstallation – den Nachttopf, der mitunter einfach auf der Straße ausgeleert wurde. Yummi... Selbst in den allerhöchsten Kreisen ging es nicht gerade hygienisch zu. Am Hof von Ludwig XIV. sollen große und kleine Geschäfte einfach mal kurz hinterm Vorhang oder sogar mit Blickkontakt während der Audienz erledigt worden sein. Mmh... Die geschlossene Badezimmertür oder wie man etwas hochgestochen sagen kann: die Intimisierung körperlicher Vorgänge, ist eben relativ neu und hat sich so erst in den letzten 200 Jahren entwickelt. Aus soziologischer Sicht kann man "Hygiene" dabei auch als eine Art Konditionierungsmittel betrachten, mit der Kinder zu Triebverzicht und gesellschaftlich anerkanntem Verhalten erzogen werden (vgl. z.B. Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation, Bd. 1)
Die mediale Vermittlung von Sauberkeit konditioniert uns also zur Verdrängung unerwünschter Triebäußerungen. AHA, wusste ich's doch! Verbirgt sich hier etwa eine Verschwörung zur Erschaffung leicht lenkbarer Konsumenten? Oder versuchen die Putz-Giganten mittels Hygiene-Wahn und so erzeugter multiresistenter Bakterien die Bevölkerung zu selektieren und dadurch die Weltherrschaft an sich zu reißen?
Wohl eher nicht. Denn der Putzmittel-Markt gilt als sehr konservativ (vgl. den Artikel So putzt die Welt). Putzgewohnheiten scheinen mächtiger zu sein als Marketingstrategien und werden in erster Linie geprägt von der Mutter. (Ha! Wenigstens beim Putzen hat man als Mutter also noch Einfluss... – dass es dabei nur um Putzschwämme und Feudeltechniken geht, muss man ja jetzt nicht so an die große Glocke hängen.)
Putzgewohnheiten und ein Putz-Wortopolis
Verkabelte Wischer, internationale Feldforschung über Putzgewohnheiten oder eine Putz-Typologie – bei der Recherche zu diesem Thema entdeckte ich ein mir bislang vollkommen unbekanntes Sub-Universum des Putzens. Es gibt "Testschmutz", "Putzkundler" und Labore für die Anwendungstechnik von Putzmitteln, die über exotische Geräte wie "Kraftfühler" verfügen – ein wahres Wortopolis des Putzens. Ich bin im Rausch! Doch eins nach dem anderen. Fangen wir mit den verschiedenen Putztypen an. Grob existieren in dieser Parallel-Welt vier Putz-Typen:
- Putzmuffel, die das Putzen konsequent ablehnen,
- Putzminimalisten, die nach der Devise "außen hui, innen pfui" in erster Linie auf saubere Oberflächen achten,
- Putzpragmatiker, die eben das tun, was getan werden muss und
- Putztraditionalisten, die das Putzen als Ehrensache betrachten.
Die Möglichkeit in einem Test den eigenen Putz-Typ zu bestimmen, füllt bei einer Onlinesuche Seite um Seite der Suchergebnisse. Welcher Putz-Typ bist du? Bestimme jetzt deinen Hygiene-Faktor! (Ich habe einen Hygiene-Faktor??? Wahnsinn!) Dabei sind Putz-Typen sowie Putzgewohnheiten anscheinend von nationalen Besonderheiten geprägt. In Amerika wischt man zum Beispiel ohne Eimer. Der Feudel hat eine Auswringautomatik und wird direkt im Waschbecken gereinigt. In Japan sollten Besenstile nicht höher als 80 Zentimeter sein, damit sie sich hinter der Waschmaschine verstauen lassen. Briten haben vor allem Teppiche in der Wohnung und brauchen daher nur einen kleinen Schrubber fürs Bad. Klima, Bodenbeläge und kulturelle Sitten (wie zum Beispiel die Schuhe vor der Tür auszuziehen) bestimmen neben Mamas Anleitung und dem individuellen Putz-Typ maßgeblich die Putzgewohnheiten. Jetzt wisst ihr Bescheid!
Das ist alles allerdings nur blanke Theorie. In der Praxis gibt es auch Menschen wie mich, ohne jede Putzgewohnheit hinsichtlich eines Wie oft oder Was. Ich pendle auch zwischen allen vier Putz-Typen hin und her, je nach Stimmung, Energiereserven und Zeit. Und ich favorisiere zwar bestimmte Putzmittel, aber die unterscheiden sich grundlegend von denen meiner Mutter. Außerdem bin ich absolut durch Werbung beeinflussbar (was habe ich schon für nutzlosen Kram gekauft...). Doch auch bei mir gibt es eine Art System. Denn was mein persönliches Putzverhalten angeht, habe ich im Laufe der Jahre zwei vorherrschende Putz-Modelle entwickelt:
- das anlassbezogenes Putzen: Das steht jedes Mal dann an, wenn ein Feiertag oder angekündigter Besuch eine gewisse Grund-Sauberkeit wünschen lassen (hatte ich schon erwähnt, dass ich Überraschungsbesuche hasse...). Vorteil: der Alltag ist wesentlich entspannter, weil man auch mal "fünfe gerade sein lassen kann". Nachteil: der Tag oder die Stunden vor dem Anlass machen einen total fertig – was man über Wochen liegen lässt, ist eben mal nicht so auf die Schnelle aufholbar. Lösung: häufiger Besuch.
- das Gelegenheitsputzen: Je nach Stimmung, Zeit und Energie fängt man spontan an zu putzen, ganz ohne Plan. Vorteil: die Zeiteinteilung ist flexibel und passt sich an die ständig wechselnden Anforderungen von Kindern, Garten im Wandel der Jahreszeiten, freiberuflicher Arbeit, etc. an. Nachteil: ohne gelegentliches anlassbezogenes Putzen zwischendurch zieht allzu leicht der Schlendrian ein...
Davon abgesehen können kreative Ideen und Putz-Innovationen die Gewohnheiten auch immer wieder verändern, das Putzen erleichtern oder zu einem echten Spaß-Event machen. Man denke nur an Pippi Langstrumpf, die auf Schrubbern durch das Haus Schlittschuh fährt oder an den fransenbesetzten "Fegerock", mit dem die Hausfrau um 1900 quasi nebenbei fegen konnte.
Die 'anderen' Dimensionen des Putzens
Ich halte fest: Reinlichkeit gilt als eine der Errungenschaften der Zivilisation. Dank ihr leben wir länger und sind weniger krank. Doch Putzen ist noch mehr als das. In psychologischer Hinsicht sorgt es auch im Geist für Ordnung. Putzen kann sogar regelrecht therapeutisch wirken. Depressiven Menschen wird zum Beispiel empfohlen, sich jeden Tag eine kleine Aufgabe vorzunehmen, die sie gut bewältigen können. Denn das vermittelt Erfolg und das Gefühl von Kontrolle. Genau das leistet auch das Putzen. Im Anschluss hat man das vollbrachte Werk vor sich, spürt Befriedigung und fühlt sich als hätte man alles im Griff. Daneben entspannen Ordnung und Sauberkeit. Eine aufgeräumte Umgebung fördert die Konzentration und die physische Anstrengung beim Putzen ist gut für die Gesundheit. Außerdem ist Putzen der Charakterbildung dienlich. Der japanische Multimillionär Shuzaburo Kagiyama putzt zum Beispiel jeden Morgen selbst mit bloßer Hand die Firmenklos und fegt die umliegenden Straßen. Ein Heer von Mitarbeitern hat sich ihm angeschlossen und im ganzen Land haben sich nach diesem Beispiel "Freundeskreise des Putzens" gebildet. Das Putzen halte ihn bescheiden, sagt Kagiyama, fördere den Teamgeist und schenke inneren Frieden, Bescheidenheit und Dankbarkeit (mehr zum Weg des Putzens). Erstaunlich.
Putzen hat aber auch eine negative Seite. Es kann nämlich krankhaft werden. Ich weiß zum Beispiel von einer Frau mit Putz-Neurose, die nachts heimlich ihren Freund mit dem Staubsauger abgesaugt hat, weil sie einen Krümel auf ihm gesehen hat. Waschzwang, Schmutzphobien – Dreck löst mitunter krankhaften Ekel aus. Dahinter verbergen sich Ängste, die den Konditionierungsprozess, der uns zu sauberen, gesellschaftskonformen Menschen erziehen soll, ins Extreme übersteigern. "Fass das nicht an, das ist Bäbä" – damit fängt alles im frühesten Kindesalter an. Der Dreck und die Unordnung, die wir erzeugen, werden auf diese Weise mit Abscheu und Scham belegt. Putzen ist deswegen meist etwas, das heimlich geschieht. Unser Schmutz ist uns peinlich.
Das muss er aber nicht, denn er gehört zur natürlichen Existenz einfach dazu. In psychischer und medizinischer Hinsicht ist daher auch eine Durchschnittsordnung gesund. Ein wenig Dreck ist vollkommen legitim und trainiert das Immunsystem. Ganz in diesem Sinne sind jüngst gesichtete Karten mit Sprüchen wie: "Entschuldigen Sie die Unordnung. Ich lebe hier" oder "Ordnung ist das halbe Leben. Ich lebe in der anderen Hälfte" wunderbare Statements für das natürliche Sein.
Putzen: die unvermeidlichen Tipps
Als kleine Belohnung für alle, die bis hierhin gelesen haben, gibt es jetzt auch noch ganz konkrete Tipps (man spricht in Fachkreisen von einem "Mehrwert für den Leser")
Es gibt zum Beispiel Maßnahmen, die das Putzen erleichtern. Dazu gehören etwa das Putzen
- mit Musik (ideal sind Musiktitel mit einem anspornenden Charakter... probiert es doch mal mit 'Electric Swing')
- im Team (Kinder können auch schon mit anpacken und die Herren auch – wie wäre es mal mit einer Familien-Putz-Party?)
- in kleinen Einheiten (dazu ist zum Beispiel eine Liste ideal mit einzelnen Putz-Aktionen, die sich nach der Erledigung mit einem befreienden Strich durchstreichen lassen)
Und das sind die Putzmittel, die man wirklich braucht (die meisten Spezialreiniger sind nämlich überflüssig):
- Neutralreiniger für alle glatten Flächen,
- Zitronensäure gegen Kalk (greift Armaturen weniger an als Essigreiniger),
- Soda gegen Fett und
- Spiritus für den Glanz.
Achtet außerdem auf folgende Erleichterungen:
- Putzgeräte sollten bedienfreundliche Griffe und rückenschonende Längen haben.
- Die Putz-Materialien sollten effektiv sein (auf nassen Materialien verdoppeln sich Bakterien alle 20 Minuten, deswegen sind schnell trocknende Lappen ideal) und zu den Oberflächen passen.
- Fenster sollten nie bei strahlender Sonne geputzt werden, sonst gibt es Streifen.
- Zur Lederpflege eignet sich Olivenöl, Kugelschreiber auf Leder bekommt man mit Haarspray und Wattestäbchen weg.
Habt ihr noch andere geniale Putz-Tipps? Seid ihr selbst Putzmuffel oder Putz-Enthusiasten? Welche Putzarbeiten mögt ihr gar nicht? Bei welchen würdet ihr euch jederzeit freiwillig melden? Ich freue mich über eure Kommentare!
Falls ein Link mal nicht mehr funktionieren sollte, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!
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