Eigentlich heißt es ja: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Dieser allseits bekannte Satz ist per Gesetz für jede Bewerbung von Medikamenten verordnet. Doch was ist, wenn die alle keine Ahnung haben? Tja, dann haben wir den Salat!
Am 24. Februar 2016 berichtete sternTV über „Die verschwiegenen Todesfälle der Antibabypille“. Und das waren zu meinem großen Erschrecken so einige.
Nun frage ich mich: Wie kann es denn bitte sein, dass die Pille im Allgemeinbewusstsein als harmloses und sicheres Verhütungsmittel verankert ist, obwohl deswegen Frauen sterben oder lebenslang gesundheitliche Schäden davontragen? Werden die „Risiken und Nebenwirkungen“ des Präparats werbewirksam totgeschwiegen? Machen die Ärzte ihren Job nicht, ist die Packungsbeilage unzureichend? sternTV jedenfalls fand heraus, dass die unerwünschten Medikamentenwirkungen häufig gar nicht erst gemeldet und daher auch nicht dokumentiert werden. In keinem der von der Sendung überprüften Todesfälle erfolgte eine entsprechende Meldung bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfarM). Unfassbar! (Übrigens kann man unerwünschte Medikamentwirkungen dort als Patient auch selbst melden... und das sollte man offensichtlich auch tun.)
Die Betroffenen erzählen in zahlreichen Dokumentationen und Reportagen (z.B. in der 3Sat-Reportage „Tricks der Pharma-Industrie“ ), dass im Vorfeld der Pilleneinnahme keine Beratung über Risiken erfolgte, erst recht keine Vorstellung verschiedener Präparate. Dass die Pillen der so genannten 'neuen Generation' ein doppelt so hohes Thromboserisiko haben wie die früheren Produkte, wussten die verhütungswilligen Mädels vor der Einnahme nicht. Und die Ärzte verschrieben einfach munter drauf los, frei nach der Devise „neu ist besser“. Oder vielleicht auch weil der großzügige Pharmareferent Geschenke, Reisen oder sogar Umsatzbeteiligungen in Aussicht stellte? Was die „Risiken und Nebenwirkungen“ anging, war der Arzt in besagten Fällen jedenfalls genauso wenig hilfreich wie der Beipackzettel des Medikaments. In der Packungsbeilage der Yasminelle-Pille steht zum Beispiel – haltet euch fest – sie habe einen „Figur-Bonus“, und einen „Feel-Good-Faktor“ und sorge für einen „Smile-Effekt“. Wäre das nicht so krass irreführend mit dramatisch weitreichenden Konsequenzen, hätte ich jetzt gleich wieder was zum Freuen: „Hallo, du Gabi, hast du jetzt auch diese supidupi Pille mit dem Smile-Effekt? Oh Mann, ich merk‘ echt schon, wie der Feel-Good-Faktor wirkt! Und der Figur-Bonus erst!!! Die Hose vom letzten Sommer passt schon wieder. Du, ich find‘ die so toll, ich nasch‘ die jetzt einfach immer so zwischendurch.“
Doch zurück zu den „Risiken und Nebenwirkungen“: Auf dem Beipackzettel der Yasminelle findet sich natürlich auch etwas über mögliche unerwünschte Wirkungen. Zum Beispiel steht da, dass unter bestimmten Bedingungen die Gefahr für die Bildung von Blutgerinnseln erhöht ist. Blutgerinnsel? Welcher Normalbürger, der damit noch nie zu tun hatte, weiß denn, was ein Blutgerinnsel ist (im medizinischen Fachjargon „Thrombose“)? Sooo schlimm hört sich das ja nicht an… ABER, Leute, daran kann man mal eben so sterben. Und wenn man es überlebt, hat man oft sein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Zum Beispiel muss man unter Umständen Tag und Nacht ultrasexy, knackig enge Thrombosestrümpfe tragen. Man kann vielleicht seinen Job nie wieder ausüben und muss lebenslang blutverdünnende Medikamente nehmen, weswegen man dann vielleicht niemals Kinder bekommen kann. Müsste das nicht auch so in der Packungsbeilage stehen?
Tja, sehr zynisch gesagt: da war die Pharma-Mission wohl ein voller Erfolg. Die Frau wird in jedem Fall nicht schwanger und es wurde gleich ein neuer Medikamentenbedarf erschlossen. Was für raffinierte Füchse das sind – da ist dann wohl mal eine Beförderung fällig …
Die Pille ist aber nur ein kleines Beispiel aus dem riesigen Fundus an Arzneimitteln. Allerdings auch eines für die vielen Medikamente, die sich mit ein wenig Aufwand vermeiden ließen. Statt der Verhütung per Hormon kämen zum Beispiel natürliche Verhütungsmethoden oder Barrieremethoden wie Kondom oder Diaphragma in Frage. Letztere schützen auch gleichzeitig vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Was für ein Health-Bonus!!! (Ist übrigens schon mal jemand an einem Kondom gestorben? Ich meine natürlich an einem regulär befüllten, nicht an einem, das als Drogen-Transport-Box im Darm missbraucht wurde…). Warum also die kleinen Hormonpillchen? Weil es damit noch bequemer und einfacher ist? Die sexuelle Revolution in allen Ehren, heutzutage ist es doch eher ein Zeichen von Emanzipation, bei Schwangerschafts- oder Infektionsgefahr auf ein Kondom zu bestehen ...
Einfacher und bequemer ist es auch, lieber Magentabletten zu nehmen, als die Ernährung umzustellen (ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage). Oder wir werfen eben schnell mal eine Tablette gegen Kopfschmerzen ein, anstatt die Ursache der Schmerzen wie zum Beispiel Stress, Flüssigkeitsmangel oder Verspannungen anzugehen. Es gibt noch unzählige Beispiele mehr für eigentlich überflüssige Medikamenteneinnahmen, bei denen wir bewusst oder unbewusst die „Risiken und Nebenwirkungen“ in Kauf nehmen. Kein Wunder. Die Pharma-Industrie führt uns zusammen mit ihrem Busenfreund, dem Marketing, ja auch laufend mit der 'einfachen Lösung' in Versuchung. Gut für die Gewinnmaximierung der Pharma-Unternehmen und - meine ketzerische Annahme - weniger gut für uns. Denn das alles sieht sehr nach einem Prinzip aus, bei dem nur die Symptome, nicht aber die Ursachen behandelt werden. Die raffinierte Taktik ist: so lässt sich der Bedarf an Medikamenten aufrecht erhalten. Ergebnis: Milliardengewinne für die Pharma-Industrie. … Mensch, wo sind die hippen Teenager, wenn man sie braucht. Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt für ein herzhaftes: „Ihr Opfer“.
Was man dagegen tun kann? Tja, da bin ich mal wieder bei der Macht der Verbraucher. Wir können uns im Rahmen unserer Möglichkeiten informieren und einfach kritisch konsumieren. Seien wir uns bewusst, dass Bestechung, Verschleierung und Manipulation (s. z.B. einen Bericht über den letzten Manipulationsskandal im SpiegelONLINE) das Netzwerk zwischen Industrie, Politik, Medien und Ärzten tiefgreifend durchsetzen. Die aufwendige und kostspielige Forschung für Medikamente wird zum Beispiel zu einem Mammut-Anteil von der Pharma-Industrie finanziert. Das Gleiche gilt für Fortbildungen von Ärzten, medizinische Publikationen, etc. Und wer das Geld hat, hat das Sagen... ist es nicht so? Deswegen sollten wir misstrauisch sein, wenn uns jemand erzählt, dass dieses oder jenes vollkommen harmlos ist und dazu noch einen 'Smile-Effekt' hat. Denn oft dauert es viele Jahre, bis erkannt wird, dass die „Risiken und Nebenwirkungen“ den Nutzen weit übersteigen. Heroin wurde zum Beispiel von 1896 bis 1931 als nebenwirkungsarmes Schmerz- und Hustenmittel massiv beworben und vermarktet. (Vom Bayer-Konzern übrigens, der auch die Yasminelle-Pille vertreibt. Die haben es irgendwie mit den ‚Feel-Good‘ Risiken und Nebenwirkungen.)
Hier noch ein paar Beispiele mehr für Medikamente, bei denen das Risiko den Nutzen überwog und die es trotzdem in die Apotheken geschafft haben:
- Der berühmte Contergan-Skandal. Das Schlafmittel galt im Hinblick auf seine Nebenwirkungen als besonders sicher und wurde Ende der 50er Jahre gezielt an Schwangere verschrieben. Es half nämlich auch gegen die morgendliche Übelkeit. Folge: Tausende fehlgebildete Säuglinge und eine ungezählte Zahl an Totgeburten. Ein Drama sondergleichen!
- Das Antidepressivum Nefadar wurde 2003 in Schweden zurückgezogen. Das Medikament verursachte lebensbedrohliche Leberschäden. Na toll. Da will man endlich wieder leben und dann das.
- Das Rheumamittel Rofecoxib ging 2004 als Vioxx-Skandal in die Pharma-Geschichte ein. Es stellte sich heraus, dass das Risiko für die bislang wenig beachteten Nebenwirkungen (Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall) durch das umsatzstarke Medikament verdoppelt wurde. Nebenwirkung: Tod. Aber das Rheuma war weg ...
- 2008 wurde Acomplia vom Markt genommen. Das Schlankheitsmittel erhöhte das Suizid-Risiko. Immerhin nahm man davon nicht zu!
Die Liste ist noch viel, viel länger ... Daher ist es wirklich angebracht, diesen ganzen Pharma-Zirkus extrem kritisch zu beäugen.
Wie ist groß ist dein Vertrauen oder Misstrauen in die Pharma-Industrie? Hast du mit einem als harmlos beworbenen Medikament schonmal richtig Probleme bekommen? Oder hat dir ganz im Gegenteil ein Medikament das Leben gerettet? Schreib gerne einen Kommentar dazu!
Sollte ein Link mal nicht mehr funktionieren, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!
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