Es war einmal …
– Nein, passt nicht. Das ist ja noch gar nicht passiert.
Man stelle sich vor?
– Besser.
Also, man stelle sich vor, Politiker würden nicht nach Macht, sondern nach einer besseren Welt für alle streben.
– Nee, so nicht. Geht es vielleicht etwas poetischer? Und bitte nicht so moralisierend!
Na gut. Man stelle sich vor, wir lebten in einer Welt, deren Geschicke von starken, weisen Menschen mit großen Herzen und offenen Ohren gelenkt würden. Grüne Täler und fruchtbare Auen wechselten dort mit lieblichen Wäldern, durch die sich plätschernde Bäche schlängelten. Die Menschen grüßten sich freundlich und arbeiteten Hand in Hand für das Wohl aller, voller Wertschätzung und Ehrerbietung für die Wunder der Natur. Statt Bomben flögen fröhliche Bemerkungen hin und her und kriegerische Gräueltaten kämen nur in absurden Gruselgeschichten vor, die man sich mit Flüsterstimme am Lagerfeuer erzählte.
– Oh bitte!!! Wir sind doch nicht im Tal der Hobbits. Für die Geschichte braucht es nichts weiter als die passende Utopie zur aktuellen Dystopie. Ein Ideal der Versöhnung – zwischen Mensch und Mensch, und Mensch und Natur, und Mensch und Klima und zwischen den Ländern untereinander. Irgendwie sowas.
Dann noch ein Versuch: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.
– Sehr witzig. Das ist erstens geklaut und zweitens noch lange keine Geschichte.
Okay. Dann stell dir vor … Da ist ein Mann namens Wladimir. Eines Morgens wacht er auf und hat das Gefühl, dass sich etwas verändert hat. Noch im Bett liegend, schaut er sich um. Ist es das Wetter? Nein, draußen stürmt es nach wie vor. Düstere Wolken hängen tief über dem Boden und decken über alles und jeden ein mattgraues Licht, das nach Weltuntergang schmeckt. Tod und Verderben liegen in der Luft; wie gewohnt in letzter Zeit. Wladimir runzelt die Stirn und wendet den Blick vom Fenster ab, lässt ihn durch das Zimmer schweifen. Es sieht alles noch genauso aus wie am Abend zuvor. Trotzdem könnte er schwören, dass etwas anders ist. Er setzt sich auf und fährt sich mit der Hand durch das Gesicht, als könne er dieses seltsame Gefühl damit fortwischen. Dann hält er plötzlich inne, betastet und befühlt sein Gesicht zögerlich mit den Fingerspitzen. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und aus seinen Augen spricht pure Irritation. Sein Gesicht ist anders. Es fühlt sich … fremd an. Eilig erhebt er sich und hastet zu dem Spiegel im angrenzenden Bad. Dort sieht er verblüfft seinem Antlitz entgegen, eine Hand noch immer an der Wange seines Gesichts, das so seltsam lächelnd verformt ist. Voller als sonst, runder, weicher. Und auch seine Augen sehen anders aus. Milde und Güte strahlen ihm aus ihnen entgegen. Anteilnahme. Ja, sogar etwas, das er mit einem anderen Lebern hinter sich vielleicht als Liebe identifiziert hätte. Ratlosigkeit macht sich in ihm breit. Was ist passiert? Was ist MIT IHM passiert? Wladimir geht im Kopf schrittweise Gedanken und Ereignisse bis zum letzten Abend zurück, entdeckt jedoch nichts Auffälliges. Er sieht wieder nach draußen durch das Fenster und spürt mit Erstaunen, dass ihn die Wolken und das grausame Licht ernsthaft bekümmern. Gestern noch empfand er ganz anders bei dem Anblick, fühlte Hass, Zorn, gallebittere Verachtung, den Rausch der Macht. Das ist nun alles fort. Wladimir schaut hinaus und Traurigkeit beginnt, ihm die Kehle zuzuschnüren. Auf einmal denkt er an längst Vergessenes zurück. Spürt die tiefe Finsternis seiner Vergangenheit, wie Verzweiflung ihm durch jede klägliche Zelle seines Körpers kroch. Erinnert sich an den dunklen Wolf, der in ihm erwachte und alle Hilflosigkeit und Verzweiflung in ihm auffraß, sie ersetzte durch grausame Stärke und einen unerschütterlichen Willen sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Wladimir erhebt sich, Entschlossenheit im Gesicht. In seiner Brust ballt sich ein warmes Gefühl und in seinen Gedanken formen sich Maßnahmen, den Schrecken zu bannen. Der Wolf ist fort und in ihm strahlt nun eine Sonne, die alle Dunkelheit vertreiben wird.
– Oookay. Wir lassen das jetzt einfach mal so stehen, auch wenn du schon wieder bei den Hobbits geplündert hast. Ich wusste gar nicht, dass Sauron Wladimir mit Vornamen heißt. Haha. Und wie soll es überhaupt zu diesem erfreulichen Bewusstseinswandel gekommen sein? Sollte man da nicht wenigstens eine Andeutung machen, anstatt feige und unkreativ die entscheidenden Punkte offen zu lassen?
Mmmh. Dann stell dir vor … Da ist ein Mann namens Wladimir, der in der Nacht Besuch von Außerirdischen bekommt.
– HA HA!
Oder: Stell dir vor … Eines Tages beschließt die Zahnfee, ihr Businessprofil zu modernizen und mit den gammeligen Zähnen Schluss zu machen. Stattdessen will sie ihr Image als Super-World-Hero-Fee relaunchen mit der neuen Special-Force „Versöhnung“. Bämm. Aus der Zahnfee wird die Fairy of Reconcilation. Statt nach blutigen Zähnen spürt sie nun nach tiefsitzenden Konflikten unter dem Kopfkissen und tauscht sie über Nacht gegen einen magischen Lobotomie-Eingriff, in dessen Folge alle alten Verletzungen vergessen und geheilt sind. Tadaaa.
– Okay, gewonnen. Ich geb’s auf, an einen logischen Grund für eine globale Versöhnung und einen umfassenden Push der Menschlichkeit zu glauben. Bleiben wir also auf der funkelnd magischen Märchen-Wunderebene, bei der ich dann aber bitte auch noch etwas hinzufügen möchte. Bereit? Also, dann stell dir vor … Jedes Kind auf dieser Erde würde geliebt und umsorgt. Jedes Kind bekäme genügend Nahrung für Körper und Verstand, Raum zum Träumen und eine Hand, die es sicher hält. Und jedes Kind auf dieser Erde würde groß mit Wertschätzung, Mitgefühl und Respekt gegenüber jeder Form von Leben. Meinerseits bämm. Was sagst du nun?!
Ich sage: Friede, Freude, Eierkuchen! Und es ist zu hoffen, dass das NICHT zu schön ist, um irgendwann einmal wahr zu sein!
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