Essen ist ein existenzielles Bedürfnis. Wenn wir nicht essen, dann sterben wir. So sieht’s aus. Doch Essen ist noch weit mehr als das. Es ist sinnliches Vergnügen, Teil unserer kulturellen Identität und in Zeiten der Massentierhaltung und Lebensmittel-Industrie auch ein echtes Problem – ethisch, ökologisch, gesundheitlich. Also, was darf’s heute sein? Versaut lustvolles Porn-Food, glücklich machendes Essen wie bei Muttern oder Ehtik-Essen, garantiert ohne Zusatz von Gewissensbissen?
Lust auf Essen - jetzt mal neurobiologisch ...
Hunger hat mit der Lust auf Essen gar nicht besonders viel zu tun. Beim Hunger geht es vollkommen nüchtern um Sachen wie den Glukosespiegel im Blut oder den Nährstoffbedarf des Körpers. Um Hunger zu befriedigen, reicht auch ein geschmackloser Brei à la Astronautenkost. Allerdings würden wir den nicht essen, wenn wir uns nicht aus rein vernünftigen Überlegungen heraus dazu entscheiden. Neurologische Experimente mit Ratten (arme Viecher) zeigten, dass ohne den motivierenden Botenstoff Dopamin gar kein Verlangen nach Essen mehr besteht. Würde der Hungerschmerz uns dann nicht an die Notwendigkeit des Essens erinnern, würden wir aus lauter Essens-Unlust einfach verhungern. Deswegen bringt uns unser Belohnungssystem im Gehirn (Nucleus accumbens) dazu, die primären Bedürfnisse zur Selbst- und Arterhaltung ganz toll zu finden und immer wieder auszuführen. Dockt nämlich das berühmt berüchtigte Glücks- und Suchthormon Dopamin dort an, führt das über einige Umwege zu Gefühlen wie Freude und Zufriedenheit. Auslöser hierfür sind keine trockenen Kalorien- und Mineralstoffangaben, sondern sinnliche Wahrnehmungen. Sehen, riechen, fühlen, schmecken, selbst das Hören löst die Vorfreude auf kulinarische Genüsse aus.
Essen als Seelentröster und Identitätsstifter
Der Duft frischgebackenen Brots, der Geschmack unserer Lieblingsspeise aus der Kindheit, die cremig kalte Konsistenz von Sahneeis kann im Nu unsere Laune verbessern. Denn dadurch werden Erinnerungen aktiviert und das Gefühl von Geborgenheit, Zufriedenheit, sogar Glück kann entstehen. Essen wirkt über das Belohnungssystem nämlich direkt auf unsere Befindlichkeit ein. Ähnlich wie bei Sex, Sport und jedweder Sucht ist an Essen das Gefühlsspektrum von Verlangen, Genuss und Befriedigung geknüpft. Das macht Essen zu einer hochemotionalen Angelegenheit. Ekel und Brechreiz gibt es dabei natürlich auch. Je fremder die Esskultur und die verwendeten Zutaten, umso größer die Gefahr von Ablehnung: "Wat de Buur nich kennt, dat frett he nich!" Als bedrohte fremdes Essen die eigene Identität...Das ist aber eigentlich auch ganz logisch. Denn was wir im Rahmen unserer nationalen und regionalen Esskultur als Kind gegessen haben, prägt unser Geschmacksempfinden. Und bedienen wir dieses Empfinden, gibt uns das Sicherheit. Nicht umsonst wird im Zuge der Flüchtlingswelle eine so genannte Renationalisierung des Essens festgestellt (wie es Kulturwissenschaftler Günther Hirschfelder in einem Gespräch mit dem WDR über nationale Food-Trends genannt hat - leider ist die Audio-Datei aus dem Netz verschwunden). Fühlen wir uns in unserer Identität also irgendwie bedroht, führt ein 'Essen wie bei Muttern' zur Stabilisierung. Unzufriedenheit und Unsicherheit können aber nicht nur das 'Was' auf unserem Speiseplan bestimmen, sondern auch das 'Wie oft' und 'Wieviel'. Nutzen wir das High durch hochkalorisches Essen zu lange und regelmäßig, stumpfen wir damit unser Belohnungssystem ab. Folge: die Vorfreude auf den kulinarischen Glücklichmacher ist riesig, die tatsächlich erlebte Befriedigung niedrig. Schwupps, sind wir in die Dickmacher-Falle des Nucleus accumbens geraten. Hätte ich einen Hang zu Verschwörungstheorien – was ich ja nachweislich nicht habe – würde ich vermuten, dass die Lebensmittel-Industrie das gezielt ausnutzt, um die Umsätze zu steigern. Wahrscheinlich fließen da einige Gelder in die mediale Angstmacher-Berichterstattung. Und wahrscheinlich sollte man auch die AfD auf Verbindungen zur Lebensmittel-Lobby hin durchleuchten… Wer weiß, was sich da – neben jeder sonstigen geäußerten Ansicht der Parteimitglieder – für Abgründe auftun…
Food, Food, Food
Plakate, TV-Spots, Food-Blogs – Essen wohin man schaut. Food-Porn heißt das Phänomen, sein Essen zu fotografieren und in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Boa, sieht das lecker aus. Foto machen, online stellen, darüber reden… 17 Prozent der Deutschen sollen regelmäßig und aktiv an der Verbreitung von Food-Porns mitwirken. (Nestlé Studie: So is(s)t Deutschland). Dabei ist der Name gar nicht mal so abwegig. Denn schon das Ansehen von Essen kann über die Ausschüttung von Dopamin erregend sein. Ich spreche daher auch gerne von 'Porn-Food' und meine damit das Schwelgen im lasterhaften kulinarischen Genuss, nach dem man sich vielleicht sogar ein wenig dreckig fühlt. Und weil Essen so wichtig für uns ist, gibt es viele, viele Ausdrücke dafür von schlemmen, naschen, speisen über futtern und vertilgen bis hin zu schwelgen, schmausen und schnabulieren. Immer mehr kommen auch Zusammensetzungen mit dem griffigen englischen Wort 'Food' auf: Brainfood, Slow Food, Fast Food, Convenience Food, Happy Food. Und als direkten Gegensatz zum Porn-Food gibt es auch das Ethik-Food.
Mein persönliches Porn-Food-Menü
Büffelmozzarella an Wildkräutersalat mit Croutons und verschiedenfarbigen Tomaten (cremiger Mozzarella und aromatische Kräuter,
dazu die fruchtige Säure der Tomaten, knusprige Croutons und ein fein abgestimmtes Dressing... mmmmmh)
***
Spaghettini mit Riesengarnelen in Tomatensugo mit Basilikum und gehobeltem Parmesan
(schlanke Pasta mit Hummerbutteraroma, dazu fest-zarte Garnelen in geschmorten Tomaten mit leichter Knoblauchnote und
würzigem Parmesan.... aaaahhhhh)
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Johannisbeertorte mit Mandelbaiserböden (Gehaltvoller Rührteig mit Baiser, Mandeln und Zimt , dazu cremig süße Sahne und die fruchtig prickelnde Säure von Johannisbeeren.... oooooohhhh)
Essen und Ethik - das Dilemma ist da
„Ein ökologisch denkender Mensch kauft wahrscheinlich am besten gar nichts“, schreibt Karen Duve in ihrem Buch Anständig essen. In ihrem Selbstversuch zeigt sie, wie schwierig Ernährung wird, sobald man sich damit auseinandersetzt, was man da eigentlich isst. Zum Beispiel wenn man sich fragt: Was unterstütze ich da, wenn ich ein TK-Brathähnchen für unter zwei Euro kaufe? Oder: Wo kommen die vielen, vielen leckeren Milchprodukte her? Auf beide Fragen lautet die Antwort: Massentierhaltung. Ganz gleich ob da viel grünes Gras auf der Verpackung abgebildet ist oder ob das Produkt den poetischen Namen 'Bauernglück' trägt – das, was man mit dem Kauf der Produkte finanziert, ist nicht schön. Viele, viele Tiere, wenig, wenig Platz, kurzes, kurzes Leben. Und dazu ein Haufen Haltungs-Maßnahmen, die eher an ein sadistisches Psychomörder-Camp als an ländliche Idylle denken lassen.
Und apropos Ethik. Fleisch im Sonderangebot? Wo bleibt da der Respekt vorm Leben! Was sollen diese prall mit Fleisch und Wurst und Milchprodukten gefüllten Kühlregale, von denen ein beachtlicher Teil garantiert im Müll landet? Leben sollte als das behandelt werden, was es ist: kostbar. Fleisch hat deswegen schlicht keine billige Massenware, sondern Luxusgut zu sein. Umso mehr als dass für eine einzige tierische Kalorie zuvor sechs bis 26 Mal soviele pflanzliche Kalorien an das Tier verfüttert werden müssen. Wow, ist das ineffizient. Und warum überhaupt, kostet dann ein Salatkopf soviel wie ein ganzes TK-Hähnchen??? Da kann doch mit dem Hähnchen etwas nicht stimmen, oder?!
Und die Lösung ist...
Ich möchte mich gesund, genussvoll, ohne Gewissensbisse und im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten ernähren. Aber irgendwas bleibt immer auf der Strecke. Bio ist häufig durch hohen Salz- und Zuckergehalt alles andere als gesund und schmeckt dazu trotz hoher Preise oft noch nicht mal. Außerdem leben auch in Bio-Betrieben die Tiere in Massentierhaltung. Vegan ist aus meinem egoistischen Genusstrieb und meinem Bedürfnis nach gesunder Ernährung heraus keine Vollzeit-Option, erst recht nicht für meine Kinder im Wachstum. Soja-Milch zum Beispiel ist ein industriell hoch verarbeitetes Produkt, das mit dem Ernteerzeugnis kaum noch was zu tun hat. Bäh…
Deswegen bin ich kein Vegetarier, kein Veganer und erst recht kein Frugarier, sondern – so wie das Schwein auch – ein Allesfresser. Die Natur, zu der auch der Mensch gehört, ist nunmal grausam. Katzen foltern ihr Essen, Ameisen melken Blattläuse und Raubtiere töten andere Tiere, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Das kann ich alles akzeptieren. Problematisch wird es für mich erst dann, wenn diese Grausamkeit ein unnatürliches Maß erreicht. Und die systematische, gewinnorientierte, platz- und zeitoptimierte Massentierhaltung und industrielle Lebensmittelherstellung IST widernatürlich und so pervers wie die Bürokratisierung der Menschentötungen im Dritten Reich. Dennoch stammt ein Großteil der Supermarktprodukte aus eben dieser Haltung und aus dem Labor. Ändern könnte man das mit der Macht des Verbrauchers. Denn letztendlich bestimmt die Nachfrage das Angebot. Das heißt konkret:
- Wenig Fleisch essen aus möglichst guter Haltung (auch Wurstprodukte sind übrigens Fleisch …)
- Wenig Milchprodukte essen und wenig Milch trinken (sieht nicht gut aus für mein Porn-Food-Menü …)
- Industriell stark verarbeitete Lebensmittel, Fertiggerichte meiden
- Frisch kochen
- Regionale Produkte bevorzugen
Das ist zumindest mein Lösungs-Ansatz. Vielleicht sorgen ja auch irgendwann geklonte Fleischzellen für ethisch genießbares Fleisch (mehr in meinem Blog: Die Möhrifizierungsgefahr: Fast Food und Lebensmittel aus dem Labor) - die Hoffnung stirbt nunmal zuletzt.
Doch wie Karen Duve schreibt: "Es gibt nämlich noch etwas Schlimmeres, als das Denken zu verweigern - die Zusammenhänge zu kennen, ohne die Konsequenzen zu ziehen."
Jedes Bemühen um eine 'gute' Ernährung ist schwierig und nervenaufreibend. Und falls mich daher die Verzweiflung über das Ernährungs-Dilemma mal wieder drastisch überfällt, versuche ich das nächste Mal vielleicht das Pranisieren. Das ist die Ernährung von feinstofflicher Lichtenergie nach der Prana-Lehre aus dem Hinduismus. Von Luft und Liebe leben können – das wär’s … (und was das für Geld und Arbeit sparen würde...)
Was treibt euch am Enährungsdilemma am meisten in den Wahnsinn? Oder esst ihr einfach ohne Rücksicht auf Verluste, worauf ihr Lust habt? Wonach trefft ihr eure Essensentscheidungen? Schreibt mir gerne einen Kommentar dazu!
Falls ein Link mal nicht mehr funktionieren sollte, freue ich mich über eine kurze Info per Mail!
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